Was ist Faschismus?

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Ihr wollt über Faschismus reden? Lasst uns über Faschismus reden! Gehen wir der Frage nach warum es (Überraschung!) keinen „linken Faschismus“ gibt. Wieviel Zeit habt ihr? Das könnte länger dauern. #NatsAnalyse 
Das Thema kann man von ganz vielen Seiten tackeln. Für mich am Wichtigsten ist die Ideologie des Faschismus. Warum diese Sichtweise aber nicht reicht erkläre ich euch am Schluss (Spannungsbogen ahoy!). Faschismus beschreibt also eine spezifische Sicht auf die Welt. 
Roger Griffin beschreibt Faschismus in aller Kürze als „palingenetischer Ultranationalismus“. Faschismus hat also die (gewaltsame) Wiedergeburt der Nation zum Ziel. Das Jetzt ist dekadent, verlottert, trist und schlecht. Herabgewirtschaftet von bösen oder Inkompetenten Kräften. 
Faschismus ist das Versprechen einer besseren, glorreichen Zukunft. Auf Basis von Volk und Nation. Und es wird nicht nur ein bisi besser, sondern es kommt ein ganz neues System, eine Zeitenwende, eine neue Ära, ein goldenes Zeitalter. Das ist wichtig. 
Die kompromisslose Utopie, die Errettung aus der Tristesse des Jetzt ist der größte Attraktivitätsfaktor. Faschismus ist nicht bloße Negation, sondern eben Utopie für die Anhänger_innen. Das Jetzt muss überwunden werden für eine glorreiche Zukunft. Wie soll das passieren? 
Die Sache ist nämlich: Volk und Nation sind eigentlich groß und werden nur klein gehalten. Und klein gehalten werden sie von (Überraschung) den Juden. Die haben nämlich eigene Interessen, die absolut inkompatibel mit denen der Nation sind. 
Nation ist nämlich nicht nur eine soziale oder politische Kategorie, nein im Faschismus transzendiert sie alles. Sie ist Gefühl, Existenz und absoluter Wert in einem. Nation und Volk sind unhinterfragbare Kategorien außerhalb jedes Diskurses. Sie sind einfach. Punkt. 
Was ist der Unterschied zwischen Nation und Volk? Im faschistischen Idealfall ist das Deckungsgleich. Aber die Realität ist oft nicht so, deswegen ist eine der wichtigsten Aufgaben im Faschismus, die die nicht zur Nation gehören aus ihr zu beseitigen. Mit allen Mitteln. 
Und die, die zum Volk gehören, aber (noch) nicht zur Nation gehören „heim“ zu holen. Am Ende steht eine völkisch reine und gesäuberte Nation. Dieser Reinheitsgedanke ist essentiell im faschistischen Denken. Bloß keine Vermischung, bloß kein Kontakt, bloß alles rein. 
Das liegt daran, dass Faschismus von der Eindeutigkeit und von der Ordnung lebt. Alles hat seinen Platz, alles hat seine Funktion. Es gibt keine Ambivalenz, keine Dialektik, keine Interessensgegensätze. Er seht hier sehr gut wie diametral das zb Marxismus gegenüber steht. 
Faschismus ist nämlich eine idealistische und irrationale Ideologie. Bevor jetzt alle in ihre Tasten hämmern, hört mir zu wie ich das meine: idealistisch im Gegensatz zu materialistisch. Nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein, sondern Zugehörigkeit zu Volk u Nation bestimmt Sein.
 
Und irrational im Sinne, dass es unhinterfragbare Dogmen gibt und das sind, wie angesprochen, Volk und Nation. Die werden nicht analysiert oder mit ökonomischen Formeln aufgedröselt oder neu definiert. Die sind einfach. Punkt. Das ist so wichtig bei diesen unsäglichen Vergleichen.
 
Marxismus hat ökonomische Kategorien, Formeln, Analysen und Ableitungen sowie wissenschaftliche Methodik. Alle Kategorien sind einer permanenten Debatte und Prüfung unterzogen. Klasse ist kein mystifizierter Begriff sondern ökonomische, politische, soziale Kategorie. 
Ok also wir wissen jetzt WIE Faschismus denkt. Aber was denkt er? Antisemitismus haben wir ja schon beschrieben. Die Idee, dass da Leute sitzen, die permanent nur am Verderben der Nation arbeiten ist zentral, weil Faschismus eine Untergangsideologie ist. 
Die Nation ist permanent bedroht, von innen wie von außen. Und was macht man, wenn man bedroht ist? Man wehrt sich. Die Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der Juden und Jüdinnen war demzufolge ein Akt der Selbstverteidigung. 
Wir oder die, es können nicht beide gleichzeitig leben, also lieber wir. In dieser Welt der Eindeutigkeit gibt es eben kein Miteinander und keine Verständigung. Und das auf Grund der bloßen individuellen Existenz. Du kannst dich ja nicht entziehen oder abschwören. 
Die Kategorisierung als „Jude“ ist ja keine Selbstbezeichnung, sondern e Kategorie, d im Faschismus vergeben wird. Du wirst zum „Juden“ gemacht. Du kannst dich dem nicht entziehen. Das ist d Perfidität, es geht nur um das weg d „Anderen“. Faschismus ist eine Vernichtungsideologie.
 
Ok kurzer Zwischenstopp: Faschismus hat Einheit von Volk und Nation zum Ziel, die jeweils unhinterfragbare Kategorien sind. Faschismus ist eine Untergangs- und Vernichtungsideologie, die sich im permanenten Abwehr- und Endkampf wähnt. Wir oder die. 
Es sind aber nicht nur „die Juden“, die gegen die Nation arbeiten, sondern auch der politische Hauptfeind: Linke/Sozialist_innen/Kommunist_innen. Anti-Marxismus ist eine zentrale ideologische Komponente, die gern unter den Tisch fällt. Ist es aber nach wie vor. 
Die arbeiten nämlich gerne mit Juden u Jüdinnen zusammen, es gibt also eine jüd-bolschewistische Verschwörung zum Schaden d Nation. Auch dieses Bild wird gerne heute noch chiffriert verwendet, immer dann wenn v „Globalisten“ gesprochen wird zb, mit denen elitäre Linken arbeiten.
 
Und dann gibt es noch die, die eine physische Schwächung der Nation bedeuten – die Armen, die Kranken, die mit Beeinträchtigungen, die Obdachlosen. Alles was schwach ist muss auch raus. Schwäche gehört vernichtet. Faschismus ist eine Ideologie der Härte. 
(Kommt ihr noch mit? Oh Gott das ist eher Stoff für eine Ring-VO) 
Also Untergang, Wiedergeburt, Abwehrkampf, Reinheit, Härte, Irrationalität und Idealismus, Utopie, Feindvernichtung sind bis jetzt die zentralen Begriffe bis jetzt. Es gibt aber auch die Akteure des Faschismus. Im Kern steht immer der soldatische Männerbund. 
Das Jetzt wird als verdorben und dekadent und verweiblicht empfunden und dem steht der virile, junge Mann gegenüber der für Volk und Nation kämpft. Faschismus ist also auch immer überhöhte und gewalttätige Männlichkeit.
 
So ich habe jetzt ein wenig das faschistische Denken skizziert. Das allein ist aber zu wenig im Faschismus zu verstehen. Faschismus hat immer auch eine soziale und politische Erscheinungsform, die nach Epoche und Land unterschiedlich ist. 
Es gibt das unterschiedliche Ansätze. Frühe marxistische Theorien sahen Faschismus als bloßes Mittel zur Spaltung der arbeitenden Klasse u haben die SPD auch gleich mit rein genommen. Kaum haltbar u sehr undifferenziert. Bürgerliche Theorien suchten Gleichsetzung mit Stalinismus. 
Dazu muss auch einige ignorieren, vor allem die ideologischen Spezifika des Faschismus und seinen inhärenten Vernichtungsanspruch. Modernere Theorien gehen das viel differenzierter an. Ich verweise auf Gramsci und v.a. Poulantzas, der auch sehr gut den Weg Richtung F beschreibt. 
Es ist ja nicht an einem Tag Demokratie u am nächsten Faschismus. Im Kapitalismus reagieren bürgerliche Kräfte an der Macht auf Hegemonieverlust zunächst m autoritären Antworten, d sich in Richtung Ausnahmestaat (wo auch Faschismus reinfällt) entwickeln können aber nicht müssen. 
Da würde ich jetzt ein ganzes neues Kapitel aufmachen, aber wichtig ist: Faschismus ist nicht ein plötzlicher Punkt in der Geschichte sondern am Ende eines politischen Prozesses, der nicht determiniert ist. Faschismus und faschistische Entwicklung gehören kontextualisiert. 
Faschismus ist letztlich auch ein Herrschaftsinstrument zudem eine gewisse Fraktion der bürgerlichen Klasse (durchaus mit Allianzen zu Depravierten) bereit ist um in letzter Konsequenz ihre Stellung in der Gesellschaft auszubauen oder abzusichern. 
Ok nachdem mich jetzt schon die liebreizenden und wahnsinnig konstruktiv diskutierenden rechten Trolle entdeckt haben komme ich zum Schluss: Faschismus ist e komplexes ideologisches System, das nicht nur in der Negation besteht. Gleichzeitig erfüllt er e soziale u polit Funktion.
 
Umberto Eco hat die Komponenten gut runter gebrochen. Das ist der einfachste Text zum ideologischen Verständnis von Faschismus. zeit.de/1995/28/Urfasc… 
Faschismus ist seiner Denk- und Funktionsweise diametral unterschiedlich zu materialistischem und marxistischem Denken. Ein linker Faschismus ist Widerspruch in sich. Faschismus ist rechts. Faschismus ist völkisch. 
Es gibt ungefähr noch 10.000 Dinge zu sagen sowohl zu Ideologie als auch konkreter Ausformung, aber ich hoffe ich konnte zumindest einen kleinen Einblick geben was Faschismus ausmacht. Es gibt natürlich Unterschiede und Spezifika nach Ländern und Zeit. 
Und dann wären da noch die feinen Abgrenzung zu Rechtsextremismus, Autoritarismus, Bonapartismus oder Begriffe wie Faschisierung und Prä-Faschismus, aber dazu ein anderes Mal. Habt ein schönes Wochenende. 
(Ich chain blocke alle, die Don Alphonso folgen. Ich lasse mich hier nicht weg treten. Nur als Warnung) 
So jetzt ist es soweit. Ich finde meinen eigenen thread zu unübersichtlich. Was hält ihr davon wenn ich einzelne Aspekte raus nehme und einzeln erkläre? Ist es euch schon zu viel? Wäre eine Art Twitter-Vorlesung zu festen Zeiten mit festen Einheiten. Zu sehr Uni? 

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