Das Problem (der) Extremismustheorie

Lesezeit: ~8 Minuten
Die immer wieder kehrende Extremismustheorie. Eine der denkfaulsten Konstruktionen der Politikwissenschaft (und das heißt was). Schauen wir uns das mal genauer an. #NatsAnalyse

Ich könnte ja damit beginnen, dass ihre eifrigsten Verfechter und Begründer gar nicht so mittig sind wie sie sich selbst geben. antifainfoblatt.de/artikel/der-ex… 
Das spielt alles mit, aber nehmen wir die Extremismustheorie einfach für 5 Minuten ernst und schauen uns an was sie besagt und warum sie nicht nur problematische Verfasser und eine problematische politische Funktion hat, sondern auch inhaltlich schwierig ist. 
Die Extremismustheorie geht davon aus, dass es eine gute Mitte in der Gesellschaft gibt. Diese Mitte zeichnet sich dadurch aus, dass sie gut. Von dieser Mitte gibt es zwei gleich weit entfernte Extreme, die schlecht sind: der Rechtsextremismus und der Linksextremismus. 
Das wird dann gern als Hufeisen dargestellt und mit einer Stimme voll Gravitas als „Die beiden Ränder sind sich einander näher, als sie glauben.“ vorgetragen. Hier wird vor allem eine formelle Abgrenzung vollzogen. Mitte – Rand/Extrem. Mitte = gut. Extrem = böse. 
Hier haben wir schon das erste Problem: es ist eine komplett bürokratische und depolitisierte Sichtweise. Mit dieser Sicht auf die Dinge muss man sich überhaupt nicht damit beschäftigen wie diese „Extreme“ überhaupt denken. Und auch nicht was die „Mitte“ denkt. 
Den beiden Extremen werden Wesensmerkmale abgedichtet, die die Unterschiede irrelevant machen sollen: Ablehnung des Staates, Gewalt und gemeinsame Feindbilder wie die USA oder Kapitalismus. 
Und damit haben wir schon das nächste Problem: ein völliges Verkennen was Faschismus ist, welche Funktion er hat, wie er ideologisch aufgebaut ist, welche Feindbilder er hat und wie er sein Ziel erreichen will. Das Selbe für Marxismus. 
Und dann wäre da noch diese tolle Mitte. Alles Schlechte in einer Gesellschaft wird in die Extreme geschoben, während die „Mitte“ erstrebenswert ist. Diverse „Mitte“-Studien (Deutsche Zustände zb) zeigen, dass menschenfeindliches Denken aber gerade dort zuhaus ist. 
Und dann haben wir noch das Problem mit der Abgrenzung. Angeblich ist da zack eine undurchdringliche Mauer zwischen Mitte und Extrem und die auf der einen Seite sind gut und die auf der anderen Seite sind böse. Und es gibt keinen Austausch und nix. Bisi naiv. 
Und zu guter letzt ist das Problem, dass diese Theorie völlig antiquiert auf Organisationen und Personen und nicht auf Ideologie und Hegemonie fixiert. So diese 7 Organisationen und diese 5 Personen sind böse und wenn die weg sind, dann gibt es keinen Extremismus. 
Ihr sehr es gibt viele Probleme mit diesem Denken und es wie aus der Zeit gefallen. Es wäre eine Skurrilität der Geschichte, würden sich nicht an sich intelligente Erwachsene noch immer darauf versteifen oder wäre es nicht Grundlage für die Arbeit des Verfassungsschutzes. 
Es geht sich hinten und vorne nicht aus, weil die Realität halt so ist: Faschismus hat eine völkisch homogene Gesellschaft (das Volk) zum Ziel. Um dies zu erreichen müssen alle, die nicht dazugehören raus. Raus geht von Diskriminierung bis Vernichtung. 
Die die nicht dazu gehören werden völkisch definiert, also jene die den Volkskörper physisch (Juden, Muslime, Menschen mit Behinderung, Obdachlose etc). Und sie werden politisch definiert, die die geistig und politisch schwächen. Das sind vor allem Linke, aber auch Liberale etc. 
Die Chuzpe der Extremismustheorie ist es den politischen Hauptfeind, aus dem der Faschismus nie ein Hehl gemacht hat, mit Faschismus gleichzusetzen. Die, die KZs wieder aufsperren wollen und die Ersten, die drinnen sitzen sollen sind in diesem Denken gleich schlimm. 
Und dieses Denken einer homogenen völkisch definierten Gemeinschaft ist das Endziel jeder rechtsextremen und faschistischen Ideologie. Manche sind mehr so und manche mehr so. Manchen sehnen sich nach Hitler, andere lesen bei Edgar Julius Jung nach, aber das sind nur Spielarten. 
Ich bin die erste die differenziert und ich habe großen Spaß daran das rechtsextreme Spektrum aufzufächern. Ich gestehe Unterschiede und Konflikte zu. Aber rechtsextreme und faschistische Ideologie lässt sich straight und kohärent auf gemeinsame Punkte bringen.
 
Im Gegensatz zu diesem ominösen Linksextremismus. Als gemeinsamen Referenzpunkt nehme ich Marxismus her, aber ich denke das stimmt für 50% der als Linksextreme eingeordneten nichtmal mehr. Hambacher Forst hat wahrscheinlich nicht Marxismus als Referenz. 
Es gibt diese kohärente ideologische Beschreibung „linksextremer“ Ideologie nicht wie im Rechtsextremismus. Hier wird einfach ein Wortgleichklang konstruiert, um eine Wesensähnlichkeit zu suggerieren. Das soll all jene diskreditieren, die unter „Linksextremismus“ fallen. 
„Linksextremismus“ ist ein loses Sammelsurium aus den abenteuerlichsten Gruppen. Von maoistischen Gruppen über die PKK bis hin zu Umweltschutz und AntiFa. Alles was in die vage Richtung „bessere Welt“ geht steht im Verdacht des „Linksextremismus“. 
Und wenn wir den angesprochenen Marxismus hernehmen, der btw im Gegensatz zu Faschismus eine wissenschaftliche Theorie samt Methode ist, dann wird es noch kruder. Es gibt so viele Ausformungen, man müsste den Wissenschaftsbetrieb verbieten, wenn man Marxismus verbietet. 
Auch Gewalt ist kein hinreichendes gemeinsames Merkmal. Zum Einen ähnelt die Gewalt von Faschisten jener „Gewalt“ zb von Ende Gelände in kleinster Weise – wo ist hier eine phänomenologische Gleichheit? Wo ist ein Muster? Die Einen jagen Menschen, die Anderen besetzen einen Tagbau.
 
Es gibt keine wissenschaftliche Methode die sagt „Ah ja genau, das fassen wir jetzt als ähnlich genug zusammen und in Abgrenzung zu allen anderen gesellschaftlichen Gruppen“. Jetzt kommt es nämlich: Gewalt findet ja gerade auch in dieser Mitte statt. 
Darüber nachzudenken, ob man Menschen ertrinken lässt ist Gewalt. Vom Bürgerkrieg zu fantasieren ist Gewalt. Physische Gewalt findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern wird diskursiv vorbereitet. Deswegen ist es auch völliger Humbug Ideologie an Organisationen festzumachen. 
Ideologie wird über Sprache und Diskurs transportiert. Dass was wir in unserer Gesellschaft als akzeptables Verhalten sehen ist Ausmachungssache. Jeden Tag ringen wir hier um Konsens. Und dieser Konsens wird seit Jahren stetig nach rechts verschoben. 
Und das passiert nicht von irgendwelchen Nazis an irgendwelchen Rändern, sondern innerhalb dieser vermeintlich guten Mitte. Denn, taadaaa, es gibt gar keine undurchdringliche Mauer zwischen „Mitte“ und „Extrem“. Das fließt viel ineinander, das sind kommunizierende Gefäße. 
Und genau da wo jemand einen Anruf von Bundestagsabgeordneten und einen Anruf von Nazischlägertrupps entfernt ist, da ist die Neue Rechte. Ein Spektrum, das mit der Extremismustheorie nicht erfassbar ist und wohl auch nicht erfasst werden soll. 
So zusammenfassend: die Extremismustheorie:
– konstruiert einen kohärentes „Linksextremismus-Spektrum“, das es so nicht gibt
– Entschuldet eine vermeintliche Mitte, obwohl erwiesenermaßen dort auch menschenfeindliches Denken statt findet
– verharmlost Faschismus 
– zieht gedankliche Mauern zwischen „Extrem“ und „Mitte“ ein, die die Kontakte verschleiern
– kann die Neue Rechte nicht erfassen
– hat einen problematischen und hanebüchenen Gewaltbegriff
– erfasst ideologisch weder Faschismus noch Marxismus
– ist antiquiert formalistisch 
– hat in der Praxis mehrfach versagt wie die eher nur mittelgute Performance des Verfassungsschutzes bei Rechtsextremismus zeigt (NSU, Hannibal, dies das)
– setzt die Hauptfeinde des Faschismus mit Faschismus gleich
– konzentriert sich antiquiert auf Personen und Organisationen 
– ist wissenschaftlich nicht haltbar
– ist an diesem Punkt in der Geschichte schlicht gefährlich
– trägt dazu bei, dass sich das diskursive Spektrum immer weiter nach rechts bewegt
– hat problematische Verfasser
– ist nicht neutral, wie behauptet 
Deswegen vergesst die Extremismustheorie und schaut euch immer ganz genau an: was wollen bestimmte politische Kräfte? Was ist ihr Endgame? Wie wollen sie dort hin kommen? Wen beinhaltet das und wer steht im Weg? Und dann urteilt selbst von wem welche Gefahr ausgeht. 

Gerne könnt ihr hier noch gute Artikel darunter kommentieren. Das lasse ich wie immer da

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