Analyse des ZIB2-Interviews mit Sebastian Kurz (ungekürzte Fassung)

Lesezeit: ~7 Minuten

Also ich habe jetzt mit der ungekürzten Fassung des ZIB2-Interviews mit Sebastian Kurz begonnen. Ich beginne einmal mit meinen Gedanken über die Shredder-Affären-Sache, wo die ÖVP ja wirklich eine erstaunliche Strategie fährt. #NatsAnalyse

Sie haben 5 Verteidigungslinien in dieser Sache:
1. das ist ein ganz normaler Vorgang
2. der Kern hat auch
3. Den Beamten kann man nicht trauen
4. es wird hier bewusst eine Nichtigkeit zum Skandal aufgebauscht
5. der Mitarbeiter hat einen Fehler gemacht

1 soll beruhigen und die Sache herunterspielen. 2 soll die SPÖ mit reinziehen und ihr schaden. 3 soll Sympathie erwecken und ist wie 2 gegen die SPÖ gerichtet 4 soll wie 3 Sympathien erzeugen – alle haben es auf Kurz und die ÖVP abgesehen 5 schiebt die Verantwortung ab

Ein loyaler aber schlussendlich übermotivierter junger Mitarbeiter hat gesehen wie gemein diese roten Beamten sind und hat im persönlichen Übereifer die Festplatten shreddern lassen. Das war falsch, aber verständlich. Daraus einen Skandal zu machen zeigt nur wie gemein Alle sind.

Hier ist auch wieder das Framing als „Fehler“ drin. Und der Fehler war der falsche Name und die nichtbezahlte Rechnung, nicht das Shreddern an sich, das ja ganz normal ist. Kurz versucht es mit dem schon besprochenen „haha das Video ausdrucken“-Scherz lächerlich zu machen.

Aber denken wir uns einmal in Kurz‘ Logik rein. Nehmen wir das einfach einmal alles genau so wie er es gesagt hat. Es sind harmlose Festplatten. Die gehören korrekt vernichtet. Die Beamten sind gemein. Das Mindeste was er hätte machen müssen ist den Misstrauebsantrag abzuwarten.

Weil das ist ja das eigentlich Verdächtige: die Timeline. Die Festplatten wurden ja nicht im Zuge der Übergabe geshreddert, wie immer betont wird, sondern vor dem Misstrauensantrag. Es wurde also auf Verdacht geshreddert. Dabei hätte Kurz keine Eile haben müssen.

Hätte er sich nämlich als Übergangskanzler angeloben lassen hätte er alle Zeit der Welt für eine korrekte Übergabe, das Einbringen der Akten ins Staatsarchiv sowie die korrekte Vernichtung von Festplatten gehabt. Hat er aber nicht, weil es nicht in die Inszenierung passt.

Also selbst in d eigenen Logik ergibt das Vorgehen keinen Sinn. Wenn man nur sicher gehen will, dass diese Festplatten wirklich ohne Leak vernichtet werden, warum nicht ganz entspannt in Übergangszeit? Oder warum hat man Löger nicht zugetraut das zu machen? Wenn eh ganz harmlos?

Interessant ist die neue ÖVP-Strategie, die ja wirklich nur eine Strategie des letzten Mittels ist: die Mitarbeiter hat eigenständig gehandelt. Als ob soetwas alleine und unbeachtet gehen könnte – zumal es ja auch offenbar mit IT-Chef abgesprochen war (der dagegen war)

Die ganze Argumentation hakt hinten und vorn. Zumal es ja auch interessant ist, dass der Mitarbeiter nach dieser Fehler-Aktion einen Job bei der ÖVP bekommen hat. Wieso stellt man jemanden nach so einer Aktion extra noch bei der Partei an?

Dementsprechend sind auch die Versuche es allein dem MA umzuhängen sehr krass. Die rhetorische Distanzierung sieht man in dem Kurz so tut als wüsste er nicht was der MA der Polizei gesagt hat – er „nimmt an, dass“ „ich gehe davon aus, dass“ als hätte es nichts mit ihm zu tun

Spannend auch, dass er immer wieder Wolf unterbricht oder sich in eine pampige Opferrolle gegenüber Wolf bringt. „Sie wären ja der Erste gewesen, der“ damit wird Wolf in die Reihe der Antagonisten gebracht, denen man es eh nie recht machen kann.

Das soll einerseits Wolf delegitimieren und andererseits den „Fehler“ weiter entschulden. Es war vlt nicht ganz korrekt, aber so wie Alle gegen Kurz sind kann er eh nur verlieren. Der kleine Fehler mit den Festplatten macht keinen substanziellen Unterschied.

In dem er die Shredder-Affäre immer wieder in die große Erzählung von „Alle sind gegen mich“ linkt, nivelliert er sie zu einer Geschichte von Vielen, die gegen ihn gesponnen werden. Er versucht ihr damit sie Substanz zu nehmen.

Und noch ein strategischer Move: er nennt im Zuge des Shreddern-Parts zwei Namen: 2 SPÖ-Politiker. Das passt weiter in die Strategie „wenn man nicht rauskommt sicherheitshalber die SPÖ mit rein ziehen“

Es fällt auch im weiteren Verlauf auf wie Kurz versucht Wolf zu provozieren und ihm zum Widersacher zu machen. Die Passage mit „die Gespräche, wo Sie nicht dabei waren“ untermalt mit spöttischem Grinsen wiederholt Kurz sogar 2x, wie eine Pointe, die beim 1. Mal nicht zündet.

Mit solchen Aussagen erhebt man sich selbst, suggeriert Wichtigkeit und geheimes Wissen. Da der Gegenüber ja im Gegensatz zu mir nur unvollständige Informationen hat kommt er zu falschen Schlüssen. Es ist also eine Deligitimierungsstrategie.

Mir ist auch gerade aufgefallen, dass Kurz die Bösen immer langsam mit vollem Namen ausspricht: „Christian Kern“ „Georg Dornauer“ „Herbert Kickl“, während die Anderen „Herr Hofer“ „Herr Strache“ oder Funktionen („Vizekanzler“) sind. Die bösen Namen sollen picken bleiben.

Bei dieser Kickl-Sache wird es auch sehr interessant. Kurz macht Kickl zum Sündenbock des Ibiza-Videos. Dabei ist Kickl ja gar nicht im Video. Kurz suggeriert Kickl würde die polizeiliche Aufklärung behindern(?) und sei deswegen untragbar

Soweit so verständlich und warum Kurz Kickl nicht mehr in der Regierung haben möchte. Aber warum er weiter mit der Partei, die nicht nur die Hauptrolle im Ibiza-Video hat, sondern auch die Ermittlungen behindert(?), koalieren will ist doch unschlüssig.

Deswegen fokussiert er alles auf Kickl, damit es kein systematisches Problem sondern ein persönlich-moralisches wird. Kickl hat einfach nicht genug gebüßt und war nicht Willens genug. Persönliche Verfehlungen, nicht politische. So hat Strache das über sich auch gesagt.

Diese Koalitionensache ist sonst das übliche Blabla, das alle Politiker_innen ähnlich von sich geben. (Außer, dass alle Anderen eine Koalition mit der FPÖ ausschließen) spannend aber wo Kurz andere Parteien mit Namen nennt – die Grünen als Einzige bei Regierungsmöglichkeiten

Gegen die SPÖ wieder ein Tiefschlag „ich weiß nicht wer in Zukunft an der Spitze der Sozialdemokratie steht“. Damit macht er klar, dass er Rendi-Wagner abgeschrieben hat und dementsprechend nicht mehr ernst nimmt. Sie ist nicht der Rede wert. Ganz schön abschätzig gegen Kollegin

Und weiter: den Grünen glaubt er, dass sie nicht mit der FPÖ koalieren, der SPÖ nicht. Er sagt damit recht offen, dass mit der FPÖ koalieren schlecht ist. Aber das ist doch ihr Ding? Das ist doch das was die ÖVP immer macht, wenn es sich rechnerisch ausgeht.

Die Erzählung hier ist aber wieder: bei der unberechenbaren Sozialdemokratie weiß man nicht was geschieht. Der Eine so, die Andere so. Während die Grünen verlässlich sind. Es ist ein (zumindest strategisches“ Anbiedern an die Grünen. Wohl auch um Keil zwischen rot-grün zu treiben

Auch die Überschreitung des Wahlkampfbudgets wird als „Fehler“ (also unabsichtlich u verzeihbar) geframed und nicht als bewusster Akt. Auch hier wird so getan als sei man einfach überehrlich gewesen im Gegensatz zu Anderen. Und wieder wird namentlich Sozialdemokratie angegriffen

Dazu kommt eine Konfusionsstrategie „es ist nicht klar was eingerechnet wird“ als ob ÖVP-Jurist_innen nicht genau wüssten was wie abgerechnet wird. Es ist ja nicht der 1. Wahlkampf dieser Partei. Aber wir sollen zweifeln und es damit verzeihen.

So, dass war doch wieder recht lang. Beim 2. schauen ist mir erst aufgefallen, dass Kurz bei jedem einzelnen Thema die Sozialdemokratie namentlich angreift sowie einzelne Personen der SPÖ. Das ist ein ganz durchgängiges Muster und neben Opfer seine Hauptkomminikationslinie

Auch überraschend: die durchgängigen Angriffe auf Wolf, fast bei jedem Thema.
Gute Nacht und sorry, dass doch wieder so lang. Es ist schwer bei Interviews, weil es springt und soviel auf einmal abgehandelt wird.

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