Und genau das ist das Problem, wenn man sich Hauptsache „Kontroverse“ in eine Talkshow einlädt. Die Strategie, die wir hier sehen ist „Den Rahmen des Sagbaren erweitern“. Das, was wir gesellschaftlich akzeptabel finden, wird ins Unendliche aufgerissen mit solchen Auftritten.
Lanz versucht in schöner journalistischer Manier ein Bild zu zeichnen: Wir sehen vor uns die schwarzen Kids in Baltimore mit all ihren Hoffnungen und Träumen, die sich nicht erfüllen können, weil links und rechts Drogendealer; struktureller Rassismus.
Frau Chittom geht auf dieses Bild nicht einmal ein bisschen ein, sondern zuckt mit den Schultern und sagt „es ist so“. Härte statt Empathie und keine Verständigung darüber, dass man sich um diese Kids bemühen muss. Das ist wichtig – Rechte kommen kommunikativ nie entgegen.
Das sage ich deswegen als Vorbemerkungen, weil ja gerne über abgehobene linke (liberale) Sprache diskutiert wird und wie man hier Rechten entgegen kommen könnte. Sie machen das im Umkehrschluss nie. Achtet mal darauf. Auch sowas ist Ausdruck von Machtverhältnissen.
Zurück zum eigentlichen Hauptact: Sie gibt sich selbst den Frame der „realistischen“ Sichtweise. Das ist sehr beliebt, weil es suggeriert, dass die Anderen in einer Fantasiewelt leben und sie die Dinge ungeschönt und „echt“ sieht. Und, dass sie Dinge anspricht, die sonst verschwiegen werden.
Sie zählt dann auf, was ihrer Meinung tatsächlich der Grund für die zukunftslosen Kids aus Baltimore ist: der fehlende Vater – ein ganz beliebtes Narrativ der US-Rechten, das Misogynie und Rassismus und Klassenhass beinhaltet: Schwarze alleinerziehende Mütter sind das Problem.
Schwarze Väter sind unverantwortlich, im Gefängnis, tot – auf jeden Fall abwesend. Schwarze Mütter haben zu viele Kinder und erziehen sie falsch und schlecht. Außerdem leben sie von welfare. Der Topos der welfare queen und der „verdient Armen“ ist da drin.
Hier hätte man btw schon ansetzen müssen und diese ganze Diskussion um „fehlende Väter“ als genau das demaskieren müssen. Es wird so gedreht, als seien schwarze Eltern einfach per se (insinuiert: genetisch) schlechte Eltern. Das ist falsch und rassistisch, misogyn und klassistisch.
Weiter im Text: Sie zählt „soziologische“ Gründe auf und betont, dass es daran wahrscheinlich liegt. (worunter btw. auch struktureller Rassismus fallen würde) Und dann schiebt sie nach: „oder genetisch“ – und damit eröffnet sie einen neuen Diskursraum. Damit verschiebt sie die Grenzen.
Und die ganze Diskussionssituation ist so, dass alle Anderen über das reden MÜSSEN. Man kann es nicht ignorieren oder wegkopfschütteln. Damit ist aber auch klar, dass wir über die „soziologischen“ Gründe nicht mehr reden, obwohl hier ja eigentlich der sinnvolle Diskussionsstrang wäre.
Mit dieser reingeknallten Behauptung verlassen wir die Ebene der Diskussion und dem Austausch von Argumenten und begeben uns auf ihr Spielfeld. Wir diskutieren eine unwahre, rassistische Behauptung und geben dieser Behauptung dadurch aber erst Legitimation.
Sie bekommt die beste und längste Sendezeit und wird wiederholt. Das (völlig korrekte) Entsetzen ist Teil der Strategie – offensichtlich hat sie ja jetzt wirklich etwas gesagt, was die Anderen nicht hören wollen. (suggeriert: also muss es „realistisch“ und wahr sein)
Ein wenig rudert sie zurück und gibt sich unschuldig: Sie wollte es ja nur mal einwerfen, man muss das untersuchen, es soll ja nur einmal diskutiert werden. Damit manifestiert sie, dass die „Genetik“-Behauptung auch ein gleichberechtigter Erkläransatz unter Vielen ist.
Aber das stimmt ja nicht und das wird auch nicht klar gestellt (auch weil das Format das so nicht kann): Wissenschaft ist kein Sammelsurium von gleichberechtigten Behauptungen. Gerade Rassismus und gerade die USA sind hinlänglich erforscht in vielen Disziplinen – Genetik kein Faktor.
Natürlich weiß sie das. Aber sie (und andere) halten an längst widerlegten Thesen fest, um ihren Rassismus in pseudorationale Bahnen leiten zu können. Damit macht sie bewusst rechtsextreme Propaganda, ist eine Ideologin. Mit so Jemandem öffentlich diskutieren ist sinnlos.
Weil es schwierig bis unmöglich ist, die Thesen in aller gebotenen Ernsthaftigkeit und die dahinterliegende Strategie zu dechiffrieren. Was hängen bleibt: Sie hat „genetisch“ gesagt und die Anderen waren entsetzt und vielleicht ist dann ja was dran, immerhin hat sie’s bei Lanz gesagt
Und ich habe hier noch gar nicht die Implikationen und die Gefährlichkeit dieses „Genetik“-Gedankens angesprochen. Das ist ganz nah dran an der alten „Rassetheorie“. Von Ausschlussüberlegungen ünd Schuld-Diskurse bis zu Verfolgung ist da alles dran. Das darf nicht diskutabel sein.
Vor allem nicht in einem Format, wo man überhaupt nicht adäquat darauf eingehen kann. Sie hat damit die ganze Sendung gekapert – das wird diskutiert. Fundierte und berechtigte und erhellende Beiträge fallen hinten ab. Sie hat den Rahmen des Sagbaren nach rechts erweitert.
Leider durchschauen solche Leute das Konzept und wenden die eigene Logik gegen die Sendung an: immer extremer, immer „kontroverser“ und so „gewinnt“ man in solchen Sendungen. Das Format und die Einladungslogik an sich ist das eigentliche Problem