Süddeutsche gegen Igor Levit

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Na gut, Leute, ich weiß gar nicht wo ich beginnen soll, es ist sehr viel drinnen. Ich möchte auf ein paar problematische rhetorische Strategien in dem Text hinweisen. Nicht nur als Fingerübung, sondern weil diese Sprache reale Auswirkungen hat.

Interessant sind schon Überschrift und URL, die beide gleichermaßen strategische Überlegungen offenbaren. Die Überschrift zeigt mit dem Ende full circle ein hämisches Lächerlichmachen. Die URL das konstruierte Duell mit einem anderen Pianisten. Beides zieht sich durch den Text. 

Das Offensichtlichste am Text ist ein durchgezogener ätzender, seltsam persönlicher, hämischer und abwertender Stil. Zu keinem Zeitpunkt bekommt man das Gefühl, dass es hier um eine künstlerische Kritik als vielmehr eine persönliche Abrechnung geht. 

Wenn man sich den Text genauer anschaut und nur auf künstlerische Kritik liest, dann zeigt sich ein Muster: Die (durchgehend negative) künstlerische Kritik wird in Klammern und Nebensätzen als Selbstverständlichkeit getarnt verborgen. Als müsse man darüber gar nicht reden, weil klar. 

Das ist natürlich weder fair, noch zulässig. Eine künstlerische Kritik darf ausgebreitet und begründet werden. Einen Künstler quasi mit Selbstverständlichkeit als ungenügend abzuqualifizieren ist nicht nur respektlos, sondern ungenügend für einen Kritiker. 

Es zeigt aber auch: Darum geht es gar nicht. Es geht nicht wirklich darum, dass Mauro wirklich ein konkretes Problem mit Levits Klavierspiel hätte, er tarnt es nur so, um persönlich abzuwerten. Als Proxy nimmt er hier einen anderen Pianisten her, den er in den Himmel lobt. 

Diese Proxy-Strategie ist vor allem am Ende wichtig, wo sich in aller (offensichtlich nicht intendierten) Offenheit zeigt, dass es nie um Kunstkritik ging. Trifonov ist nicht nur ein besserer Musiker, sondern auch ein besserer Mensch, das ist die Schlussconclusio. 

Aber ich mache schon wieder drei Schritte vor dem Ersten. Schauen wir uns einmal die Themen und Narrative an und dann später noch ein paar Strategien. Ja, das wird lang.
Wieviel Zeit habt ihr? 

Das durchgehend gezeichnete Bild ist: Levit ist ein Hochstapler, Mittelmaß, das so tut als ob, jemand der nicht verdient durch seine Arbeit dort oben ist, sondern durch Marketing und Verkaufsgeschick. Er gehört nicht WIRKLICH dazu, er ist ein Aufschneider.

Das wird natürlich nicht mit diesen Worten so gesagt, aber dieses Bild ergibt sich. Er wird mit Paris Hilton verglichen (wir könnten hier btw auch über Misogynie reden, aber egal) und es wird suggeriert, Levit verdanke seinen Erfolg geschicktem Marketing. 

Und hier stoßen wir schon auf grobe Problematiken. Diese Gegenüberstellung des Wahrhaften und Echten gegen das Künstliche und Belanglose ist ein alter Topos, gerade in der Kunst. Letzterem wird nachgeraunt, es verführe die Massen, ist aber eben nicht echt oder gut. 

Es geht nicht darum, dass man keine Kritik haben könnte, sondern was und wie hier kritisiert wird. Levit wird sogar unterstellt, er spiele die Emotionen beim Klavierspielen nur. Es sei eine Pose. Sein Spiel sei Pathos. Also nicht echt, nur auf Effekthascherei aus. 

Das ist ein Topos des Antisemitismus. Die verführerische, künstliche, immer nur nachahmende, eben nie echte jüdische Musik/Kunst. Weil Juden_Jüdinnen das Echte und Wahrhafte gar nicht empfinden können. Entlang dieser Linien sollte man sein Argument nicht formulieren. 

Es geht gar nicht darum, ob Mauró das bewusst gemacht hat, denn der Effekt ist der Selbe. Es sind tradierte Erzählstränge, die man kennen und gegen die man aktiv anschreiben sollte. Aber er geht voll rein mit diesem Antagonismus echt – künstlich. 

Man könnte darüber noch hinwegschauen, würde es nicht in direkter sprachlicher Nachbarschaft zu einem Geraune stehen, dass Levit gleich „gegen ein ganzes Land“ (Deutschland) vorgehe. Hier wird es gefährlich: Der künstlich erfolgreiche Hochstapler gegen Deutschland. 

Nicht nur ist der künstlerische Erfolg nicht gerechtfertigt, nein dieser Typ hat auch noch die Frechheit, sich despektierlich über Deutschland zu äußern. Insinuiert: ein Land, dass dich aufgenommen hat. Ein Land, in dem du Fremder bist. Sei dankbarer. 

Wir sehen hier auch das eigentliche Narrativ des Textes: Levit taugt künstlerisch nichts, das wäre nicht der Rede wert, nein, er ist auch noch ein gesellschaftlicher Wichtigmacher und mischt sich, wo er sich nicht einzumischen hat. Und das Twitter-Establishment jubelt ihm zu 

Und auch hier wird wieder suggeriert, Levits Engagement sei nicht ernst gemeint. Es sei also nicht „echt“. Diese Obsession mit „echt“ ist wirklich ein Problem des Textes. Zumal er keinerlei Beleg liefert, dass Levit es nicht „so“ meine. Es ist ein Geraune und eine Vermuterei. 

Mit flapsigen und überheblichen Vermutungen wird suggeriert, dass Levits Engagement gegen rechts nicht ernst gemeint sei oder keinen Effekt hätte. Dazu wird bewusst verschwiegen, dass Levit etwa vom Auschwitz-Komitee geehrt wurde. Das zählt nicht. 

Auf englisch nennt man diese Strategie „character assassination“. Es geht darum, nicht nur das Handeln, sondern den Menschen an sich abzuwerten. Interessanterweise macht Mauró genau das, was er Levit vorwirft: Er spielt sich zum Richter und Henker, zum moralischen Weltgericht auf. 

Das gezeichnete Bild ist also eine persönliche Abwertung von Igor Levit anhand tradierter antisemitischer Muster von Echtheit und Künstlichkeit, von ehrlicher Emotion und gespieltem Pathos sowie echtem Können und bloßer Imitation. 

Was passiert auf der rhetorisch-strategischen Ebene? Wir haben es mit ganz vielen Neologismen, also Wortneuschöpfungen zu tun. „Opferanspruchsideologie“, „Sofa-Richtertum“, „opermoralisch“. Diese sind sehr bildgewaltig und inhärent abwertend. Es ist also keine nüchterne Beschreibung 

Neologismen sind nicht ohne Grund eine sehr beliebte Strategie extrem rechter Sprache, umso derber, umso ausschweifender. Zum Beispiel der „Schuldkult“ oder die „Teddybärenwerfer“. Mit solchen Neologismen wird Sprache zur Waffe und es geht nicht mehr um die Diskussion. 

Eine weitere Strategie ist die geframte Gegenüberstellung. Mit Trifanov, Barenboim, Mutter, Sportlern, Katastrophenhelfern. Immer die insinuierte Unterstellung, dass die es besser machen als Levit, aber er nicht dazu gehört, nicht so gut ist. 

Das ist perfide, weil suggeriert wird, dass er ja besser sein „könnte“, aber dies anscheinend nicht „möchte“. Dass es all diese Positivbeispiele gibt und Levit einfach nicht dazu gehört. Das ist ein sprachlicher Exklusionsmechanismus. 

Genau die selbe Strategie wird aber auch inklusive angewandt in einer Beimengung. Das passiert, wenn etwa geschrieben wird, er sei mit den „richtigen“ Journalisten befreundet. Dort gehört er also dazu, zu den „richtigen“ Journalisten. Als gäbe es auch falsche. 

Hier wird angedeutet, dass es eine richtige Clique gibt, an die man sich halten muss, um erfolgreich zu sein und diese Clique ist gesellschaftsliberal, „links“, antifaschistisch usw. Und Levit hat sich da dran gehängt und schwimmt da mit. 

Auch hier: keine „echte“ Freundschaft, sondern Karriere und Kalkül. Die selbe Strategie gibt es noch bei Steinmeier und Merkel. Kein „echter“ Verdienst, sondern die umgeben sich gerne mit lautstarken Künstlern. Dieser Echtheits-Vorwurf zieht sich durch den ganzen Text. 

Nächste Strategie: Diffamierung durch Begriffs-Analogien. Levit ist ein „Twitter-Virtuose“. Virtuose wird in dem Text nie im Zusammenhang mit Klavier verwendet, nur mit Twitter. Soll sagen: Er kann Twitter besser als Klavier spielen. (implizit wieder Hochstapler-Vorwurf) 

Weitere Strategie: Absätze mit rhetorischen Fragen beenden. Rhetorische Fragen im Pulk hinterlassen immer einen richtig ätzenden Eindruck. Sie drücken richtig aufs Auge, was man denken soll und verstecken sich hinter pseudoneutralen Fragen. Antworten sind längst klar, Urteil gefällt. 

Die rhetorischen Fragen werden im Exzess gestellt: Ist das mutig? Trägt das zur Bekämpfung von Faschismus bei? Nein. So wie die Fragen gestellt sind, ist die Antwort klar nein. Die Fragen tun nur so, als wären wir selbst draufgekommen, als hätte uns nicht der Text dort hingeführt. 

Rhetorische Fragen mit diesem ätzenden, abwertenden Unterton sind tatsächlich auch ein beliebtes rhetorisches Mittel rechtsextremer Sprache. Besonders in Reden, da man hier mit gut gesetzten Pausen maximalen Effekt erzielt. 

Die Abwertung passiert auch mit verwendeten Analogien, etwa dem Topos des Clowns. Dazu hat Saša Stanišić schon viel gesagt. Interessant auch, dass gleich darauf „Humorlosigkeit“ vorgeworfen. Inkohärent – Clown und humorlos?

Richtig schräg wird es, wenn Levit mit einem ganzen Konvolut von bizarren Vorwürfen von Weltgericht und Opferideologie überschüttet wird. Auch hier Projektion: Das zuvor vorgeworfene Pathos wird selbst praktiziert. Keine Stufe kleiner als „Weltgericht“. 

Dieser überschäumende Absatz voller sprachlicher Entgrenzung hangelt sich entlang bestehender rechtsextremer Talking Points. Dieser Absatz könnte so 1:1 in der Sezession stehen in seinem Geifer und der blinden Verachtung. 

Auch hier interessant, wie Diffamierung durch Begriffsnachbildungen passiert: „Recht auf Hass“. Das nimmt Anklänge am „Recht auf Meinungsfreiheit“ etc. Aber linke Gutmenschen wie Levit würden ein „Recht auf Hass“ proklamieren, weil sie eben nur „hassen“, sobald sie den Mund aufmachen. 

Auch dieser Hass-Vorwurf hat wirklich ungute historische Anklänge. Praktisch soll es natürlich „Hass im Netz“ neutralisieren. Weil, wenn eh alle hassen, dann sind alle Schuld, wenn es sie trifft. Und die Linken „hassen“ eben genauso wie die Rechten. 

(oh Gott, es ist so viel) 

Twitter wird als abgehobenes Elitenmedium dargestellt, aber selbst dort findet bei Levit keine echte „Kommunikation“ statt. Twitter und die sozialen Medien als Feindbild einer bürgerlichen Rechten wäre ein spannendes und lohnendes Forschungsgebiet. 

Die sozialen Medien werden als „außerhalb“ der Gesellschaft dargestellt, während Zeitungen sowohl „echt“ sind, als auch für inhärente Qualität bürgen. Rechte Doppelstrategie: Wir sind im elitären Sinn besser als das Gegenüber und gleichzeitig volksnäher. 

Nur mit dieser Prämisse funktionieren ja Abwertungen wie „twitter-Virtuose“ oder „Pausenstück“ oder die Frage, ob das nun wirklich etwas zum Kampf gegen Faschismus beiträgt. Als sei twitter etwas, das keinen Einfluss auf das Denken von Vielen oder die Gesellschaft hätte. 

Hier wird es zudem infam. Dem jüdischen Künstler, der zig Morddrohungen bekommt, vorwerfen, er würde nicht wirklich gegen Faschismus kämpfen. Es ist auch eine Belehrung von oben: ich weiß besser, wie man das macht, du machst es falsch, das zählt nicht, du gehörst nicht dazu. 

Ich komme langsam zu einem Ende, man könnte noch sehr viel mehr und gründlicher dazu etwas sagen. Richtig perfide finde ich den Schluss. Erst die Einleitung, dass Tweets nicht „überstürzt“, sondern wohlüberlegt sind, was falsch ist. Das Wesen von Tweets ist ihre Spontanität. 

Dann ein langes Ausbreiten der Reaktionen (3 Tweets) von Levit über den Angriff auf den jüdischen Studenten in Hamburg. Levit sei müde. Durch die Wiederholung von „müde“ kehrt sich die Bedeutung ins Humoristische um. Mit jedem Mal mehr wird weniger Mitleid evoziert. 

Auch hier wird suggeriert, es sei gespielt oder kalkuliert. Auch hier ein ungutes Anleihen nehmen an der Geschichte: Alles ist geplant, um zu tricksen und zu täuschen, keine echte Emotion. Diese echte Emotion wird ins Lächerliche verkehrt. 

Und dann als rhetorischer Todesstoß die letzte Gegenüberstellung mit einem „echten“ Künstler, der sich auf „echte“ Kunst konzentriert. Suggestion: Etwas, zu dem Levit nicht in der Lage ist. Die Überschrift setzt das Krönchen auf: „Igor Levit ist müde“ ist nicht emphatisch gemeint. 

Der Text ist ätzend, voll von Anwürfen, Suggestion, Geraune und dem Weglassen von vollen Wahrheiten. Der Künstler Igor Levit wird schon in der Prämisse als ungenügend abgewertet, der Mensch Igor Levit ist es am Ende des Textes. Voll von Strategieanleihen an der extremen Rechten. 

Dazu kommen sprachliche Inkohärenzen („einerseits“ ohne „andererseits“; abrupte Gedankenwechsel ohne Überleitung, humorbefreite Clowns, wackelige Sprachbilder), die allein deswegen durch kein Lektorat gehen sollen. Der Text lässt mich aufgewühlt und ratlos zurück. 

Er versucht ganz große negative Emotionen zu wecken, aber spricht nie wirklich aus, was eigentlich das Problem des Autors mit Igor Levit ist. Er bleibt vielmehr im Geraune und der Suggestion verbunden mit bekannten rechten talking points und Frames. Gefährlich. 

Wie immer: Danke fürs Lesen.

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