Eine Lehrstunde des österreichischen Trumpismus

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Also, Leute, schauen wir uns das an. Eine Lehrstunde des österreichischen Trumpismus mit FM Blümel am 10.05.2021 in der ZIB2. Diese Mischung aus Selbstgerechtigkeit, Hybris, Verachtung für den Rechtsstaat, Gaslighting und Narzissmus.

Zum Kontext: Es geht um den Ibiza-Untersuchungsausschuss, bei dem die ÖVP in den Fokus gerückt ist. Und das Finanzministerium muss Akten liefern. Vom Verfassungsgerichtshof (!) angeordnet. Finanzminister Blümel weigert sich, der Bundespräsident muss einschreiten. Ein nie dagewesener Vorfall.

Was macht Blümel gleich am Anfang? Warum diese pathetischen Worte, er sei „Demokrat und Patriot“? Er versucht sich in Priming. Das heißt er versucht, die Linse zu setzen, durch die er das ganze Interview gesehen werden will. Er ist der, der richtig und nach Gesetz handelt.

Verbunden mit einer klassischen Non-Apology (genau dazu kommt morgen ein Video von mir für @moment_magazin btw.). „Wenn der Eindruck entstanden ist, entschuldige ich mich“. Es ist kein „Eindruck entstanden“ – er hat dem Verfassungsgerichtshof nicht Folge geleistet, das ist Fakt.

Seine Wortwahl insinuiert, andere hätten das unrichtig so dargestellt und er, der Patriot und Demokrat, ist da in etwas hineingeraten. Das wollte er nicht, deswegen entschuldigt er sich (man kann nur darum bitten, eigentlich) für den Eindruck, nicht für die Sache.

Aus einer sehr simplen Sache macht Blümel eine sehr komplizierte Sache. Der VfGH möchte die Akten und er hat sie zu liefern. So ist das eben bei einem Gericht. Jede Person, die einen Rechtsstreit hatte, weiß wie das ist. Blümel macht eine absichtliche Verkomplizierung.

Das dient natürlich dazu, bei uns Zuschauer:innen Zweifel zu säen. Der VfGH sagt so, Blümel sagt so, wer weiß schon wie so ein Vorgang richtig ist. Das ist alles so kompliziert und niemand von uns kennt sich wirklich wirklich aus. Werden schon beide irgendwie Recht haben.

Er framed sich dann noch als der besorgte Chef, der seine Mitarbeiter:innen vor der bösen Datenkrake Verfassungsgerichtshof schützen will. Krankenstandsdaten! Die schützt er mit allem, was er hat. Er tut so, als würden Fremde diese willkürlich abrufen wollen. Es ist der VfGH!

Interessant ist die Sprechposition, in die er sich begibt – er habe dem VfGH Verhandlungen angeboten, um das zu klären. Er stellt sich damit auf eine Ebene mit dem VfGH. Als seien sie ebenbürtig. Als könnte er dem VfGH sagen, was dieser zu tun habe. Aber diese Augenhöhe gibt es nicht.

Er framed sich damit als der Zugängliche, Nette, der so harsch behandelt wird. Aber ein Gerichtsurteil des obersten Gerichtshofs ist kein Verhandlungsangebot. Blümel stellt es so da und erhöht sich damit selbst maßlos. Als könnte er mit dem VfGH ausdealen, was dieser sehen möchte.

Das ist interessant, weil die fehlende Augenhöhe ein Kernstück der kurz’schen Rhetorik ist. Er ist entweder Opfer des Gegenüber oder soviel klüger und besser als dieses. Jetzt, wo es formal keine Augenhöhe gibt, stellt Blümel sie rhetorisch her. Geschickt. Gefährlich.

Damit lösen sich alle Grenzen auf von dem, was gilt und es wird so getan, als könnte man alles mit einem Deal, mit ein bisi Reden, mit ein wenig Augenzwinkern klären. Das ist genau die Trump’sche Gebrauchtwagenhändler-Attitüde, nur auf fein. Der VfGH ist aber kein Bussi-Bussi-Freund.

Er wiederholt dann immer wieder „präzedenzloser Vorfall“, „mit allen Möglichkeiten des Rechtsstaates“. Stay on the message. Umso öfter er solche Phrasen benutzt, umso mehr werden sie geglaubt. Wiederholung ist alles. Durch Wiederholung wird die Lüge zur Wahrheit.

Er bedient damit auch weiter den „ich habe mich an die Regeln gehalten, der VfGH wollte einfach nicht reden“-Frame. Blümel hat nicht den Rechtsstaat ausgeschöpft, er hat ihn missachtet. Er hat nicht eine Frist ein wenig *zwinkerzwonker* gedehnt, er hat dem VfGH nicht Folge geleistet.

Er versucht auch immer wieder die Schuld dem U-Ausschuss umzuhängen. Weil dieser die Justizministerin rügt und sogar den VfGH zu etwas auffordern kann, geht alles so drunter und drüber. Wieder die Vorstellung: Mit dem VfGH hätten wir es uns schon ausdealen können.

Er zeichnet damit ein lapidares Bild juristischer Vorgänge. Als gäbe es hier eine Spannweite und er hat sich halt im Namen seiner Mitarbeiter:innen bemüht, aber der U-Ausschuss und der VfGH wollten ihm kein Stück entgegen kommen. Aber so funktioniert das nicht.

Das ist ja keine Verhandlung, wo der Eine sagt 100.000 und der Andere 50.000 und dann einigt man sich auf 75.000, weil das halt fair ist. Blümel tut so, als sei er auf einer Auktion oder bei einem Häuserkauf oder als ginge es um Gebrauchtwagen. Es geht um ein Gerichtsurteil des VfGH.

Man muss jetzt dazu sagen, dass Blümel die Akten (also die Mailpostfächer) dann doch geliefert hat, bevor der Exekutor sie abgeholt hat. Auf Papier. Beidseitig bedruckt. 204 Ordner. 32.000 Seiten. Geheimhaltungsstufe 2. (Muss in einem Keller unter Aufsicht gelesen werden)

Das ist natürlich eine absichtliche Eskalationsstrategie. Anstatt rechtzeitig zu sagen, dass man diese und folgende Ausnahmen beantragt, lässt man die Frist verstreichen, empört sich, dass keine Ausnahmen gemacht werden, stellt es als Skandal dar, verarscht das Gericht. Eskalation.

Darin sieht man auch, wie geheuchelt die Sorge um die Mitarbeiter:innen ist. Wenn man sich um ihre Daten sorgt, dann schützt man sie so früh wie möglich, ganz normaler Formalvorgang. Wenn das nicht gemacht wird, dann kann der VfGH das nicht von sich aus machen und das wirft man ihm vor.

Blümel begibt sich dann wieder in die Macher-Position. Er hat nicht nur mit dem VfGH, den Fraktionen, dem U-Ausschuss reden wollen, nein er hat auch den Parlamentspräsidenten zugezogen. Ja, will denn keiner mit verhandeln?! Richtig – er ist in gar keiner Verhandlungsposition, that’s why.

Und plötzlich hat Blümel ein Angebot gestellt, dass er gütigerweise auch erneuert. Aus der Defensive in die Offensive, ich habe schon oft dargelegt, dass das ein Grundprinzip der kurz’schen Kommunikation ist. Offensive, egal wie. Und genau so macht es Blümel auch.

Blümel entwickelt eine enorme Hybris. Er stellt sich jetzt sogar über den VfGH und unterstellt ihm fehlende Klarheit. Es geht also nicht mehr um Augenhöhe, sondern er beurteilt den VfGH und richtet quasi aus, dass dieser schlechte Arbeit leiste. Das höchste Gericht der Republik.

Er dreht es einfach um: Sehr gerne würde er alles so liefern, aber offensichtlich sei das nicht gewünscht gewesen. Das ist Gaslightning. Das ist leider ein recht sperriger Begriff, aber es beschreibt bewusst herbeigeredete Realitätsverschiebungen. Als sei die Welt ganz anders.

Das alles steht im größeren Kontext, dass dieser U-Ausschuss mit aller Macht gestört und zerstört werden soll, offensichtlich, weil er zu nahe dort ist, wo es der ÖVP richtig weh tut. Und dazu ist jedes Mittel recht. Das fängt an bei der Vorsitzführung, obwohl man Teil der Untersuchung ist.

Geht über das wüste Beschimpfen und Gerüchtestreuen über lästige Abgeordnete (Krisper, Krainer, Brandstätter) bis hin zum Verspotten und Delegitimieren des Ausschusses an sich (Köstinger). Sogar die Wahrheitspflicht soll abgeschafft werden (Sobotka). Zu nahe an der Wahrheit.

Und genau hier drischt Blümel rein – er beklagt sich als armes Opfer und beschädigt den Ausschuss (bei dem es eigentlich um die FPÖ ging!). Er verlässt wieder die Augenhöhe und ist jetzt Opfer, weil die Leute im U-Ausschuss (besonders die SPÖ) so gemein sind.

Und auch wieder etwas, was die ÖVP ausmacht: permanenter Wahlkampf. Es geht um etwas ganz Anderes (schlechte Umfragewerte) und Blümel bespricht das gute Wahlergebnis der ÖVP Wien vom Herbst 2020. Er verknüpft etwas, was nichts miteinander zu tun hat, aber das die Zuseher:innen kennen.

Zum Abschluss noch ein beliebter Kniff: Skandale und Fakten werden als „Kritik“ geframed. Und die kann man sich zu Herzen nehmen, sich gar ein wenig darin sonnen, in jedem Fall sind es Meinungen. Es geht nicht um „Kritik“, sondern um handfeste, erwiesene Skandale.

Ganz am Ende nochmal keine klare Antwort auf die Frage, ob ein Minister, gegen den Anklage (!) erhoben wird, zurück treten muss, sondern quasi Litigations-PR („Die Vorwürfe sind falsch“).

Zusammengefasst sehen wir hier einen aggressiven Finanzminister, der in seinen Rollen von falscher Augenhöhe auf Maßregler zu Opfer springt und dabei immer wieder dem Interviewer durchflutscht. Es geht um maximale Eskalation und damit maximale Beschädigung des Rechtsstaates.

Letzter Gedanke: Das funktioniert auch, weil das Thema kompliziert und unsexy ist. Zuviel ist schon rund um Ibiza rausgekommen, man weiß gar nicht mehr, um was es grad geht, Verwaltungs- und juristische Vorgänge sind wirklich fad. Eigentlich.

Der VfGH ist auch nicht personifiziert, sondern halt eine dieser Institutionen der Republik. Und so ist hüben wie drüben des Atlantiks gerade das Rechtssystem ein guter Angriffspunkt. Weil es keine großen Emotionen per se weckt. Aber genau so werden Demokratien zerstört.

Mehr Kontext für allem für alle, die nicht aus Österreich sind. Ähnlich wie in den USA gewöhnt man sich in Österreich11 daran. Man stumpft ab. Alles Teil dieser Aufreibungsstrategie. Von außen betrachtet ist es eigentlich unglaublich.

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