Neoliberales Negative Campaigning

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Schauen wir uns dieses Beispiel von Negative Campaigning doch einmal genauer an. Was soll hier die Botschaft sein? Was soll das aussagen? Was passiert hier eigentlich? Ausgangslage: Ein neoliberaler Think Tank schießt gegen die grüne Spitzen-Kandidatin. So weit, so wenig überraschend. 

Gleich vorweg: Mir ist natürlich klar, was ausgesagt werden soll: Die Grünen sind eine Verbotspartei und ohne die Verbote der Grünen lebt es sich viel besser, da die Verbote der Grünen alles abwürgen, was gut ist. Aber gelingt das in diesem Beitrag?

Wenn einem bei „sinnlose Verbote“ als erstes die 10 Gebote einfallen, dann hat man irgendetwas grundsätzlich an den 10 Geboten nicht verstanden. Das sind im Großen und Ganzen universell akzeptierte Werte des Zusammenlebens, weit über das Christentum hinaus. Sie sind nicht negativ konnotiert.

Der Versuch, auf etwas Negatives anzuspielen misslingt also. Die kommunikative Erzählung „das war schlecht und die Grünen machen es jetzt genauso wie das, was schon einmal schlecht war“ geht hier nicht auf. Denn die 10 Gebote sind eben nicht als „übertriebene Verbote“ punziert.

Vielleicht ist es ja eine andere Erzählung und es soll aussagen, dass die Grünen sich anmaßen neue Gebote zu erstellen, wo es doch schon welche gibt. Diese Erzählung wird nur im beiliegenden Text nicht ausgeführt. Diese Unterscheidung wird nicht betrieben. Also kommt sie nicht rüber.

Wir haben als die Referenz auf etwas tendenziell Positives bis Neutrales, zumindest nichts, was klar mehrheitlich negativ konnotiert ist. Der Bruch ins Negative muss also im Text erfolgen. Der muss also den Kontrast ins Negative klar machen. Das funktioniert sogar. Anfangs.

Problem 1 ist halt, dass es so viel Text ist, der so klein geschrieben ist. Er ist nicht auf Anhieb lesbar und die Augen gehen nicht automatisch auf den Text und die Wörter sind nicht sofort erfassbar. Man muss reinzoomen, Augen zusammen kneifen und bewusst den Text lesen wollen. Schlecht gemacht.

„Du darfst kein Verbrenner-Auto fahren“, „Du darfst nicht fliegen“. Hier werden klar sprachlich die 10 Gebote imitiert und hier funktioniert der gewollte Bruch auch. „Du sollst nicht töten“ – sinnvoll, kennen wir alle, finden wir gut. „Du darfst nicht fliegen“-Häh? Hier geht es fast auf.

Ab Punkt 3 gibt man diese Kommunikationsstrategie auf. „Du darfst nicht schöner Wohnen“. Vom konkreten Auto und Fliegen geht man zum sehr allgemeinen „Wohnen“ über. Besser und klarer wäre „Du darfst kein Eigenheim besitzen“ oder „Du darfst keinen eigenen Garten haben“ Klare Bilder.

Danach werden die Punkte wild, weil es so wirkt, als hätten Internettrolle die Arbeit der Kommunikationsagentur fortgeführt: „Du darfst noch weniger von deinem Geld haben weil blablabla“. Hier verliert sich der kommunikative Faden völlig und es passt nicht mehr in den Duktus der 10 Gebote.

Der Gag der 10 Gebote/Verbote ist doch, dass es kurze klare Sätze sind. „Du sollst/darfst nicht xy“. Aber ohne Begründung, weil die Begründung inhärent ist. Deswegen sind es ja „göttliche Gesetze“. Weil sie nicht hinterfragbar sind, keiner Begründung bedürfen. Das geht völlig verloren.

Die Begründungen und Füllwörter („mal“) führen auch dazu, dass es viel zu viel Text ist für so ein Sujet. Wer liest denn das zu Ende? Und dann gibt es noch mehr Text am unteren Bildrand, der völlig unscheinbar, wie ein Impressum, dort hingeklatscht wurde, als sollte man ihn nicht lesen.

Der Text wäre die Chance, das abzurunden und die Botschaft klar zu machen: Die Grünen sind nicht Gott, wir brauchen keine neuen 10 Gebote, wir brauchen keine Ersatzreligion. Etwas, wo das Thema noch einmal aufgenommen wird. Stattdessen ein etwas verwirrender erster Satz:

„Die Verbote der Grünen lähmen unser Land“. Sind die Grünen schon in der Regierung? Ist Baerbock Regierungschefin? Wenn schon umgesetzt, warum braucht es dann „göttliche Gebote“? Der Satz geht völlig weg von der „allgemeingültige pseudoreligiöse Gesetze“-Botschaft.

Dann Werbesprech und schwache passive Appelle („Es braucht“ – wer braucht was von wem?). Und dann der bemerkenswerte Satz: „Verbote haben noch nie ins gelobte Land geführt“. Ist das nicht der Sukkus der 10 Gebote? Dass sie genau das machen – halte dich daran und du kommst in den Himmel?

Das schießt doch komplett an einer geteilten kollektiven Wahrnehmung vorbei, wo doch klar ist, dass die 10 Gebote ja für Gläubige genau diese positive Funktion haben und eben nicht schlecht punziert sind. Der ganze Text macht ratlos. Und will doch eigentlich Wut erzeugen.

Und dann noch der Slogan „Wir wollen keine Staatsreligion“. Warum nicht „Wir wollen keine Klimareligion“ oder „Wir wollen keine Gutmenschenreligion“? Wenn schon Negative Campaigning, dann doch so, dass es verstanden wird. Weil „Staat“ ist ja nicht per se Inhalt der Verbote.

Alles in allem einfach schlecht umgesetzt. Referenz auf eine positive bis neutrale Figur/Begebenheit. Verabsäumt den Bruch scharf zu erzeugen. Sprachlich inkonsistent. Keine kohärente Botschaft. Viel zu viel Text. Kein eigener scharfer Kontrapunkt. Halbgar.

Sehr wichtige inhaltliche Ergänzung:

 

 

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